Um die Bedeutung des Wortes Einigkeit für die Gründung des TVE besser zu verstehen, unternehmen wir eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit.
Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 durch die Vereinigung der deutschen Staaten unter preußischer Führung war die Idee der nationalen Einheit ein zentraler Punkt. “Einigkeit” stand hier für die Integration und den Zusammenhalt der zuvor separaten deutschen Staaten zu einem geeinten Nationalstaat.
Der damalige Zeitgeist lässt sich so umschreiben: Das Elsass ist wieder Deutsch, die Streitigkeiten mit Frankreich somit für die Deutschen gelöst. Außerdem ist Frankreich für die nächsten Jahrzehnte durch Reparationszahlungen geschwächt, während die deutsche Wirtschaft boomt und Deutschland sich in Einigkeit zu einer Weltmacht entwickelt.
Diese Einheit wurde durch das Leitmotiv “Einigkeit und Recht und Freiheit” im Deutschlandlied (von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben) symbolisiert, das 1922 offiziell zur Nationalhymne erklärt wurde, aber schon vorher eine bedeutende Rolle in der nationalen Identität spielte. Noch heute wird in der Nationalhymne zuvorderst die “Einigkeit” besungen – dann erst kommen “Recht” und “Freiheit”.
Um das Jahr 1900 hatte der Begriff “Einigkeit” auch im Sport eine bedeutende Rolle in Deutschland. Der Sport entwickelte sich in dieser Zeit zu einem wichtigen sozialen und kulturellen Phänomen, das zur Förderung der nationalen Identität und des Gemeinschaftsgefühls beitrug.
In der rheinhessischen Turnzeitung vom 15. Oktober 1901 wird der Turner wie folgt charakterisiert: “Der Turner ist das Gegentheil von einem Weibsbild; zudem unterscheidet er sich von anderen Leuten durch das Klettern. […] Er kann sehr schnell springen und kommt nie außer Athem, dagegen geht ihm zuweilen das Bier aus”.
Vermutlich trug all das zur Entscheidung bei, das Wort “Einigkeit” mit aufzunehmen. Genau wissen wir das natürlich nicht. Übrigens taten dies sehr viele Vereine, die zu dieser Zeit das Licht der Welt erblickten.
Fazit: An erster Stelle stand also die Einigkeit: Im Kaiserreich wie im Turnen.
Wie würde wohl eine Grußbotschaft unserer Gründungsväter lauten. Natürlich filigran in Sütterlin geschrieben.
Hier die „Übersetzung“:
Gut Heil Euch, Turnbrüder und -schwestern,
in tiefempfundener Ehrfurcht und mit herzlicher Freude senden wir, die getreuen Turner des Turnvereins „Einigkeit“ Netphen, Euch zu Eurem ehrenvollen Jubelfeste unsere aufrichtigen Glückwünsche dar. Möge dieses Jahr im Zeichen der Einigkeit und des edlen Strebens nach körperlicher und geistiger Vervollkommnung stehen, wie es dem Geiste unseres Turnens gebührt.
Es ist uns eine wahre Ehre und Freude, einen solch wackeren Turnbruderverein als Bundesgenossen zu wissen, dessen unermüdliches Streben nach Wohl und Wachstum des Turngedankens wir voll und ganz teilen. Möge Euch die Zukunft mit reichen Früchten Eures Werkes segnen und der Fleiß derer, die hier die Fahne des Turnens hochhalten, nie erlahmen.
In tiefster Verbundenheit und mit einem kräftigen „Gut Heil“ verbleiben wir,
die Gründungsväter des Turnvereins „Einigkeit“ Netphen
PS: am 01.01.1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft
Euer Jubiläumsblogger